Wie halte ich es mit der Macht im Machtgefälle? Oder: Vom Wandel der eigenen Haltung

13. Dezember 2017, geschrieben von 

In Fortführung meiner Gedanken zum Umgang mit asymmetrischen Konflikten bei der Bearbeitung von Intragruppenkonflikten "Alle gegen einen!" - Knifflige Verfahrensfragen in der Mediation" möchte ich meine eigene Haltung dazu beschreiben – und wie sich diese über die Jahre verändert hat.

Nach einigen schlechten Erfahrungen mit  aus dem Ruder laufenden Ausgrenzungsdynamiken in der Arbeit mit Gruppen habe ich mich dazu entschlossen, meinen früheren Grundsatz „im Zweifel immer mit der Gesamtgruppe arbeiten“ zu verwerfen – zugunsten des Grundsatzes „im Zweifel anfangs nicht mit  der Gesamtgruppe arbeiten“. Ich verlagere also die Konfliktbearbeitung meist in eine entsprechend verkleinerte Gruppe oder in einen Caucus (Pendelverfahren). Eine Ausnahme davon mache ich nur, wenn das ausgrenzungsgefährdete Gruppenmitglied mir im Einzelgespräch versichert, dass es explizit eine Klärung mit allen möchte. Ich treffe diese Entscheidung über das veränderte Setting für mich als gruppendynamischer Experte. Gelegentlich kann diese Entscheidung zum Abbruch der Mediation führen, wenn die Beteiligten dem Wechsel des Settings nicht zustimmen.

Ich finde, dass die Gefahr einer traumatischen Ausgrenzung einer einzelnen Person zu groß ist. Der Ausschluss aus einer wichtigen Gruppe löst  oft (und zudem meist unbemerkt) tiefe Ängste aus. Die Wahrnehmung von Isolierung und kollektiven Schuldzuweisungen verbindet sich dann sehr stark mit dem Warn- und Angstzentrum im Gehirn (siehe dazu auch Hüther & Sachsse, 2007). Bei den Betroffenen gehen damit  meist kognitive Prozesse wie Scham und Hilflosigkeitserleben, Verlust von Selbstvertrauen, endloses Denken im Kreis und Fixierung auf verletzte Identitätsgefühle, die das traumatische Erleben zwanghaft verstetigen (Wagner, 2011) einher. Im Nachgang einer Ausgrenzung gibt es oft auch massive Schuldgefühle bei der Mehrheit, denen sie dann durch viel Rechtfertigungsaufwand begegnet. Bei der Arbeit mit diesen Fällen durchdringt die ständige Ausgrenzungsbedrohung alle Aktivitäten und beeinflusst sie negativ.

Je mehr Erfahrungen ich mit der Moderation von Gruppenprozessen gesammelt habe, desto mehr Respekt habe ich vor dieser Arbeit entwickelt. Ich bin bescheidener hinsichtlich der Einschätzung meiner Kompetenzen geworden, solch schädigende Ausgrenzungsprozesse verhindern zu können. Mir sind keine Methoden bekannt, die sie mit hinreichender Sicherheit vermeiden können.

Selbst wenn man die Fishbowl-Methode mit Delegierten einsetzt (z.B. Keydel, 2012), kann man ausgrenzende Reaktionen der außen sitzenden Gruppenmitglieder (Stoßseufzer, herabsetzende Bemerkungen usw.) nicht verhindern. Die ständige Kulisse der Ausgrenzungsbedrohung kann mich als Moderator unterschwellig dazu verleiten, den Kommunikationsprozess stark zu kontrollieren, indem ich emotional geäußerte Kritik im Keime zu ersticken versuche. Diese angstmotivierte Kontrolle ist wiederum der gewünschten offenen Gesprächsatmosphäre einer Mediation nicht dienlich.

Hinzu kommt die weitere Schwierigkeit, dass es meist einige unbeteiligte Gruppenmitglieder gibt, die nach kurzer Zeit gelangweilt und zum Teil genervt sind. Ihre Gefühlslage wendet sich nicht selten auch noch gegen die Minderheit, weil sie „unnötige Probleme macht“ und „den Laden nur aufhält“. Dies alles möchte ich der Person nicht zumuten – auch wenn es das Ende der Mediation bedeutet. Mein Leitprinzip lautet in diesen Fällen, der Schutz vor Ausgrenzung von Einzelnen hat im Zweifel Vorrang vor  dem Wunsch und der Forderung danach, dass alle Prozesse in Gegenwart aller Gruppenmitglieder stattfinden. Mit welchen Methoden genau ich hierbei arbeite, beschreibe ich in einem weiteren Beitrag.

Quellen:

Hüther, G., Sachsse, U. (2007). Anxiety and stress-induced disorders. Psychotherapeut (52, 3) 166-179.

Keydel, B. (2012). Die ‚Streithähne‘ in die Mitte. Die Konfliktparteien schicken ihre Vertreter in den Fishbowl. In Knapp, P. (Hrsg.), Konflikte lösen in Teams und großen Gruppen (205-210). Bonn: managerSeminare

Wagner, A. (2011). Gelassenheit durch Auflösung innerer Konflikte: Mentale Selbstregulation und Introvision. Stuttgart: Kohlhammer

Letzte Änderung am 05. Januar 2022
Alexander Redlich

… ist Professor (i. R.) für Pädagogische Psychologie und hat Psychologe, Sozialpädagogik, Lehramt studiert. Er ist Mediator und Ausbilder BM®, wissenschaftlicher Leiter der Ausbildung "Konfliktberatung und Mediation" an der Universität Hamburg und seit Gründung im Vorstand von KOMET.
Seine Forschung und Lehre bezogen sich auf die Beratung von Lehrkräften und Schulklassen, ausgrenzungsgefährdete Kinder und ihre Familien, Dynamik von Arbeitsgruppen und Führung in Wirtschafts- und Verwaltungsorganisationen. Seit 10 Jahren geht es um Werte und Normen großer Gruppen. Dabei standen immer Kommunikation, Kooperation und Konfliktbewältigung in und zwischen den Mitgliedern menschlicher Gruppen im Mittelpunkt - nach dem Motto "Am Anfang war die Gruppe".

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