Perfektion macht Kopfschmerzen: Wie es mir gelingt, den virtuellen Raum in der Online-Mediation mit Gelassenheit zu gestalten

07. Mai 2020, geschrieben von 

Vieles ist im virtuellen Raum grundlegend anders. Deshalb habe ich bei mir selbst und auch bei Kolleg*innen anfänglich großes Zögern erlebt, weil online schlicht vieles nicht so funktioniert wie in einem realen Raum. Da ruckelt das Bild, da hallt die Stimme, die Visualisierung ist nicht so einfach. Für die digital affinen Menschen unter uns ist das kein Problem: Eine Kollegin hat – schwupps! – eine zweite Kamera installiert, und alle können die handgeschriebenen Karten auf dem geteilten Bildschirm sehen. Ich hingegen weiß nicht einmal, wie ich eine Kamera an meinem Rechner installiert bekomme! Ein Kollege erzählte mir nebenbei, dass er seine Internetverbindung jetzt natürlich mal perfektioniert habe, damit das stabil machbar ist. Ich konnte nur bewundernd nicken…

Ich habe somit wieder einmal erlebt, wie hilfreich es ist, Kolleg*innen um Unterstützung zu bitten, um bestmögliche Voraussetzungen zu schaffen. Dafür bin ich ihnen wirklich dankbar!

Gleichzeitig möchte ich als bekennend technikferne Perfektionistin dafür werben, es mit den meiner Meinung nach grundsätzlich sehr einfach zu handhabenden Online-Tools einfach auszuprobieren. Und es bei Bedarf als persönliche Lernaufgabe zu begreifen, den eigenen Anspruch in diesen Krisenzeiten herunter zu schrauben. Ja, 80 % sind weniger als 100 %, aber eben auch sehr viel mehr als 0 %. Gerade in Krisenzeiten sind unsere Kompetenzen bei der Bewältigung von konflikthaften Dynamiken erfahrungsgemäß besonders wertvoll, da sie Halt geben und Ängste nehmen können.

Es ist somit alles auch eine Frage des Erwartungsmanagements: Ich gehe mittlerweile schlicht davon aus, dass technisch nicht alles rund laufen wird. Mir hilft es dabei, mir Videos wie zum Beispiel von unserer Bundeskanzlerin anzuschauen, die ins Mikrofon ruft: „Can you hear me now?“ und mir bewusst zu machen, dass das gerade unser aller Normalität ist.

Eine neu erworbene Basistechnik von mir ist es somit, technische Probleme normalisierend zu kommentieren: „Frau Müller, sie waren leider akustisch gerade sehr schlecht zu verstehen. Das passiert manchmal. Darf ich Sie bitten, es noch einmal für uns alle zu wiederholen?“

Ansonsten gehe ich sehr sparsam mit all den spannenden Abstimmungs-, Zustimmungs- und Meldetools um, die die meisten Programme für Videokonferenzen bereithalten. Mein Eindruck ist, dass diese Werkzeuge Menschen im Konflikt eher stressen. Und unabhängig davon, ob das bei anderen so ist: Mich als Moderatorin stressen sie! Insofern arbeite ich schlicht mit klassischer Körpersprache. Das bedeutet, dass bei mir in der Mediation immer alle Bildschirme angeschaltet sind (was ich übrigens generell empfehlen würde!) und dass sich Menschen ganz klassisch melden oder ich Fragen stelle, bei denen ich bitte, deutlich zustimmend zu nicken oder mit dem Kopf zu schütteln. Ich habe damit sehr gute Erfahrungen gemacht, weil mein Eindruck ist, dass alle sehr fokussiert bei dem gesprochenen Wort sind und eben nicht bei der faszinierenden Technik.

Ich visualisiere auf selbstklebenden Moderationskarten, die ich wiederum auf ein Flipchart klebe, das schräg hinter mir steht. Zwischendurch nehme ich mein Tablet und blende diese Karten nochmal einen Moment für alle sichtbar ein. Gerade von Menschen, mit denen ich die Mediation online fortgesetzt habe oder die mich von früher aus Mediationen kennen, habe ich dazu die Rückmeldung erhalten, dass sie dies als vertrautes Element sehr schätzen. Und hinterher bekommen die Parteien „wie immer“ ein Fotoprotokoll davon.

Ich erwarte außerdem, dass einige Konfliktparteien unter erschwerten Bedingungen an der Mediation teilnehmen: Ich durfte bereits Menschen mediieren, die in ihrem Schlaf- oder Badezimmer saßen, weil das in einer Großstadtwohnung mit Kindern der einzig halbwegs ruhige Ort war. Wobei wir gleich bei der zweiten Herausforderung sind: Die Kleinen sorgen manchmal durchaus für Geräuschkulisse.

Auch hier gilt für mich: Normalisieren! „Kein Wunder, dass die Kids meinen, jetzt reicht‘s aber auch mal mit Corona! Das geht mir auch nicht anders!“ Meistens sehe ich beim gestressten Elternteil dann ein dankbares Lächeln.

Darüber hinaus habe ich festgestellt, dass ich mehr erkläre, was ich tue, um den Beteiligten einen roten Faden zu ermöglichen. Ich sage beispielsweise: „Ich würde im Raum jetzt eine Runde machen, wir machen quasi auch eine, nur da auf jedem Bildschirm die Personen unterschiedlich angeordnet sind, rufe ich euch jetzt nacheinander so auf, wie ihr auf meinem Bildschirm zu sehen seid.“

Und schließlich habe ich mir vergegenwärtigt: Zwei Dinge habe ich auch bei Online-Mediationen wirklich komplett selbst in der Hand – mein Outfit und meinen Bildhintergrund. Beides lässt sich vorab in Ruhe auswählen!

Ich bin sehr gespannt auf eure und Ihre Anregungen und Tipps für Mediationen im virtuellen Raum!

Letzte Änderung am 09. Mai 2020
Silke Freitag

… beschäftigt sich als freiberufliche Mediatorin seit über zwanzig Jahren leidenschaftlich mit Konflikten in und zwischen Organisationen sowie im öffentlichen Bereich. Sie vermittelt Handwerk und Kunst der Mediation an der Universität Hamburg sowie der KURVE Wustrow. Sie liebt bei alldem die Balance aus Bewährtem und Neuem. Gemeinsam mit geschätzten Kolleg*innen erprobt sie in Mediation und Ausbildung Neues, verwirft manches und entwickelt anderes weiter. Mit Freude reflektiert sie diese Erfahrungen - sehr gern auch schreibend.

1 Kommentar

  • Kommentar-Link Kirsten Schroeter 07. Mai 2020 gepostet von Kirsten Schroeter

    Liebe Silke,

    vielen Dank fürs offene und durchaus selbstkritische Teilen Deiner Erfahrungen - anregend und erfrischend!

    Ich ergänze sehr gern zwei ganz kleine, konkrete Anregungen fürs praktische Gestalten einer Online-Mediation, die beide versuchen, den Charakter einer Mediation in Präsenz in wenig in die virtuelle Welt zu übertragen.

    In Bezug auf den Bildschirm-Hintergrund hörte ich von einer Kollegin, die vorab Fotos von ihrem Mediationsraum an die Parteien schickt und dann alle bittet, diese als individuelle Hintergründe für die Online-Sitzung zu verwenden - um damit noch symbolisch zu unterstreichen, dass ein gemeinsamer Klärungsraum entsteht. (Das setzt natürlich eine gewisse technische Fertigkeit aller Beteiligten voraus...)

    In Bezug auf das Ende einer Online-Mediation hörte ich von einer Kollegin, die - statt des üblichen Klicks aller auf "Meeting beenden", was ja in gewisser Weise für einen sehr abrupten Schluss sorgt - alle bittet, am Ende bei eingeschalteter Kamera nach der Verabschiedung aufzustehen und sich zu entfernen. Sie hält es ebenso, kommt dann zurück und schließt den (virtuellen) Raum.

    Überhaupt finde ich die Wahl des Orts, an dem die Parteien sich befinden, durchaus bedenkenswert. In dieser besonderen Ausnahmezeit liegt es vermutlich auf der Hand, dass die meisten Menschen (jedenfalls die mit Kindern) sich zuhause ein ruhiges Eckchen suchen. Trotzdem ist es ja möglicherweise und je nach Konfliktstoff gar nicht so leicht, sich nach einer intensiven, vielleicht aufwühlenden Online-Session plötzlich unversehens wieder im Privatleben und im privaten Raum zu befinden... und ein neutraler Ort wäre passender oder hilfreicher, um sich in Ruhe sammeln und das Ganze auf sich wirken lassen zu können.

    Es ist im Grunde wie im Präsenz-Modus auch: Vieles, was wir mit Aufmerksamheit betrachten und ggf. gestalten können...

    Ich freue mich auf weiteren Austausch dazu!

    Kirsten

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