„Findest du nicht?“ - Über den Umgang mit Gruppenbildungen in Mediationen

17. März 2021, geschrieben von 

„Und ich bin nicht der einzige, dem das auffällt…“ „Die anderen sehen das genauso...“, „Alle sind davon genervt…“. So oder so ähnlich höre ich in Mediationen sehr oft, wie Konfliktparteien ihre Ansichten oder Wahrnehmungen untermauern. Meine Meinung wird von mehreren getragen; ich stehe hier nicht alleine! So nachvollziehbar dieses Manöver auch sein mag, so wenig trägt es zu einer guten Lösung bei. Eine bestimmte Meinung oder Sichtweise wird aus mediativer Sicht nicht deswegen „richtiger“, weil sie von vielen geteilt wird; der Wahrheitsgehalt nicht höher, weil man sich auf andere Gleichgesinnte beziehen kann. In Mediationen wird nach gemeinsamen Lösungen gesucht, die die Bedürfnisse und Interessen aller berücksichtigen.

Dies setzt voraus, dass alle gehört werden, dass die unterschiedlichen Ansichten verstanden werden, damit alle Beteiligten mit dem Wissen um die Unterschiede und die dahinterliegenden Interessen nach Gemeinsamkeiten suchen können; nach dem was verbindet, nach dem, auf das man sich einigen kann. Wenn am Ende einer Mediation beispielsweise 5 von 20 die Lösung nicht gutheißen, weil sie „anderer“ beziehungsweise „falscher“ Meinung sind, dann ist es unwahrscheinlich, dass die Lösung oder die getroffenen Vereinbarungen von den fünfen langfristig mitgetragen werden. Das lässt sich beispielsweise in Entscheidungsprozessen gut beobachten, und es lohnt sich hier nach Möglichkeiten zu suchen, mit denen man alle Interessen gut integrieren und berücksichtigen kann anstatt „nur“ nach Mehrheiten zu suchen. Schauen Sie dazu auch in den Beitrag über die Methode Systemisch Konsensieren.

Koalitionsbildungen lassen sich aber auch ohne Entscheidungsprozesse beobachten. Das am Anfang erwähnte Betonen von „die anderen sehen es auch so“ höre ich am ehesten entweder in der Auftragsklärung oder gegebenenfalls in Einzelgesprächen. Seltener wird es direkt zwischen den Konfliktparteien ausgesprochen; und wenn, dann meistens, weil der Graben zwischen den derart benannten Gruppen schon recht tief ist. Zumindest so meine Erfahrung.

Wenn wir uns die 9 Stufen der Eskalation nach Friedrich Glasl anschauen, dann kommt die Koalitionsbildung schon als 4. Stufe und ist die erste Stufe im Win-Lose-Bereich. Das heißt im Grundsatz, dass ab dem Moment, in dem Koalitionsbildungen anfangen, sich der Konflikt so verhärtet, dass eine Mediation erschwert wird. Entsprechend achtsam werde ich also, wenn mir davon erzählt wird und ich den Eindruck von einem „sie“ gegen „uns“ bekomme.

Die drei Hauptphasen und neun Stufen der Konflikteskalation (nach Glasl)

Wenn ich also Koalitionsbildungen vermute oder direkt erzählt bekomme, versuche ich zunächst, durch Fragen herauszubekommen, wie stark und oder wie verfestigt sie sind. Hat eine Konfliktpartei beispielsweise nur mit einigen Kolleg*Innen zwischen Tür und Angel mal kurz reingehört, ob sie vielleicht eine ähnliche Meinung zum Streitthema haben, oder gibt es schon eine Art Bildung von Gruppen, die sich voneinander eher fernhalten, wo wenig Kontakt stattfindet, wo Kolleg*Innen das Gefühl haben, „Stellung nehmen“ zu müssen, und wo die fortgesetzte  Zusammenarbeit erschwert ist. Im letzteren Fall benenne ich die Situation, weil es das Gelingen der Mediation erschweren kann.

Auch spreche ich mit den Konfliktparteien offen über meine Eindrücke und lasse sie sich selbst auf den Eskalationsstufen einstufen und dabei beobachten. Fragen wie „was machen wir hier gerade?“ und „wozu soll das eigentlich ein Beitrag sein?“ oder „was ist hier eigentlich unser Ziel?“ können hilfreich sein, damit sich die Konfliktparteien aus der Metaebene betrachten können. Auch die systemischen Grundsätze über Wirklichkeitsbilder, dass es kein „richtig“ und kein „falsch“ gibt, sind hilfreich, wenn es darum geht, Koalitionen aufzulösen oder zumindest zu entbündeln. Das Auflösen der Koalition wird damit zum ersten Schritt einer Mediation; es lassen sich nur schwer gemeinsame Lösungen, die die Bedürfnisse und Interessen aller berücksichtigen, erarbeiten, wenn die Parteien aus angefeindeten Koalitionen kommen.

Weiter spielt aus meiner Sicht auch die Führung eine wesentliche Rolle dabei, ob sich Koalitionen bilden und fortbestehen können, weswegen auch ihre Rolle im Geschehen reflektiert werden soll. Was konkret kann die Führungskraft tun, um Konfliktkoalitionen aufzulösen, welche dahinter liegenden Unzufriedenheiten haben vielleicht dazu geführt? Oft können Über- oder Unterforderung, unklare Vertretungspläne oder sonstige Intransparenz eine Rolle spielen.

Was also anfangs harmlos vorkommt, kann über die Zeit weitreichende Wirkungen haben - für die Zusammenarbeit, die Stimmung und letztendlich oft für die psychische und physische Gesundheit der Beteiligten. Ganz zu schweigen von den Kollateralschäden: Aufgaben werden nicht oder schlecht gelöst, gute Kolleg*innen lassen sich nach Möglichkeit versetzen usw.

Aus fast jedem Blickwinkel haben Koalitionen aus meiner Sicht wenig positiven Einfluss auf einen Lösungsprozess beziehungsweise geben sie einen wesentlichen Hinweis darauf, wo wir als Mediator*innen, als Führungskräfte oder auch als Kolleg*Innen vielleicht als erstes hingucken sollten.

Thematisch verwandt damit sind die Blogbeiträge über die Mediation asymmetrischer Konflikte und den Umgang mit zahlenmäßigen Machtgefälle von Alexander Redlich, der sich damit beschäftigt, wie sich Menschen in Gruppen verhalten.

Letzte Änderung am 17. März 2021
Mette Bosse

…arbeitet freiberuflich als Coach, Konfliktmoderatorin und Teamentwicklerin und leitet u.a. Seminare zu Konfliktmanagement im Career Center an der Hamburger Universität. Ursprünglich als Juristin in der dänischen Zentraladministration tätig hat sie mehrfach im Ausland gelebt. Hier sammelte sie vielfältige Erfahrungen, wie sich unterschiedliche Kulturen zueinander verhalten und interagieren. Ihr Anliegen ist es Menschen und Teams auf deren Weg zu begleiten, um Ressourcen und neue Wege zu erkennen und so neue Handlungsoptionen zu erschließen. Zuversicht, Wertschätzung und Resonanz sind dabei ihre wichtigsten Wertegrundlagen. Selbstreflektion und kollegialer Austausch bereichern und beflügeln ihre Arbeit.

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